Forschungsinstitut für Nachhaltigkeit Helmholtz-Zentrum Potsdam

Kein Platz für visionäres Denken? Der Einfluss von zivilgesellschaftlichen Organisationen auf die UN-Nachhaltigkeitsziele

17.03.2021

Die Entwicklung der Sustainable Development Goals (SDGs) sollte inklusiver, transparenter und partizipativer verlaufen als frühere Prozesse der Vereinten Nationen. Deshalb wirkten auch zivilgesellschaftliche Organisationen mit. Wie sie agierten und mit welchen Zukunftsvisionen sie die Ziele verknüpften, analysieren Henrike Knappe und Oscar Schmidt vom IASS in einer neuen Studie.

Jugendliche mit der damaligen Generalsekretärin der Klimarahmenkonvention, Christina Figueres (4. v.r.), beim Young and Future Generations Day im Rahmen der COP21, die 2015 in Paris stattfand.
Jugendliche mit der damaligen Generalsekretärin der Klimarahmenkonvention, Christina Figueres (4. v.r.), beim Young and Future Generations Day im Rahmen der COP21, die 2015 in Paris stattfand.

„Die Formulierung der SDGs im September 2015 erfolgte in Konsultation mit neun sogenannten Major Groups – Gruppen, die von den UN bestimmt wurden und die verschiedene zivilgesellschaftliche Gruppen vertreten, wie zum Beispiel indigene Menschen, Frauen oder Gewerkschaften. Auch viele andere Stakeholder beteiligten sich, was in der Tat ein innovativer Schritt zur Öffnung des UN-Systems war. Unser Ziel war es, hinter die formale Architektur des Prozesses zu gehen und das tatsächliche Handeln und den Einfluss zivilgesellschaftlicher Akteure zu beleuchten“, sagt Henrike Knappe. Dabei stellten die Politikwissenschaftlerin und der Agrarwissenschaftler Oscar Schmidt fest, dass die Major Groups die Rolle von Visionären und Überwachern gegenüber den staatlichen Vertretern einnahmen. Ihr konkreter Einfluss auf die SDGs war allerdings unterschiedlich stark ausgeprägt.

Visionäre Zukunftsvorstellungen von Jugendlichen finden kaum Gehör

Zwei Major Groups nahmen die Forschenden genauer unter die Lupe: Kinder und Jugendliche sowie Landwirte. Sie untersuchten die Vielfalt der Repräsentationen von Zukunft – zum Beispiel in Form von Geschichten, Szenarien, Visionen – in diesen beiden Gruppen sowie die Verbindung zwischen der ästhetischen Darstellung von Zukünften und der Formulierung politischer Ziele. Beide beanspruchten für sich, stellvertretend für ihre Major Group deren Wünsche für die Zukunft zu repräsentieren. So definierten die Kinder und Jugendlichen sich als die Gruppe die eine bessere, nachhaltigere Zukunft ermöglicht, gleichzeitig aber auch als Opfer, deren Zukunft und Existenz massiv bedroht wird.

Sie schufen die Perspektive einer zukünftigen Lebenswelt der Menschen und des Planeten, um die Entscheidungsträgerinnen und Entscheidungsträger zum Handeln zu bewegen. Von diesem zukunftsorientierten Standpunkt aus stellten sie repräsentative Ansprüche, die eher visionär waren. Wie fragil und ständig rechtfertigungsbedürftig dieser Standpunkt blieb, zeigt sich daran, dass diese Gruppe eines ihrer konkreten Ziele nicht erreichte, nämlich die Einrichtung einer Hohen Kommission für zukünftige Generationen auf UN-Ebene.  

Landwirte setzen Forderungen nach höheren Einkommen durch

Die Landwirtinnen und Landwirte hingegen verankerten ihre Aussagen in der Gegenwart, von der aus sie geradlinig in die Zukunft blickten. Sie waren in ihren Zukunftsvorstellungen sehr direkt und argumentierten, ihre Interessen seien existenziell mit dem Überleben des Planeten und der Existenz jeglicher Zukunft verbunden. Tatsächlich wurden die Forderungen nach höheren landwirtschaftlichen Einkommen, einem Abbau von Handelsbarrieren sowie Investitionen und technischer Unterstützung für landwirtschaftliche Produzenten im Globalen Süden zu Kernelementen des SDG 2 „Kein Hunger“. Dieser Gruppe gelang es also, ihre Forderungen in den Ergebnissen der SDG-Verhandlungen zu verankern.

Beide Gruppen wandten sich selten an die Vertreterinnen und Vertreter der UN-Mitgliedsstaaten, die hauptsächlich für die Ausarbeitung der SDGs verantwortlich waren. Sowohl die Kinder und Jugendlichen als auch die Landwirtinnen und Landwirte blieben oft zurückhaltend oder vage und bezogen sich häufig nur auf das aktuelle Forum, in dem sie sich befanden. Sie steckten viel Energie und Zeit in die Selbstrechtfertigung. Aufgrund der weniger sicheren Position, aus der sie ihre Forderungen vorbrachten, sahen sie offenbar die Notwendigkeit, ihrem Publikum zu versichern, dass sie tatsächlich legitimiert seien, ihre Anhängerschaft zu vertreten. Als problematisch empfanden die Gruppen, dass sie sich zwar in den SDG-Prozess einbringen durften, aber dennoch am Rande der eigentlichen Verhandlungen gehalten wurden. Sie forderten wiederholt eine bessere Einbindung.

Neue Strategien für Umgang mit offenen und unsichere Zukünften nötig

Tatsächlich seien UN-Prozesse in dieser Hinsicht verbesserungsfähig, so die Forschenden. „Dafür muss allerdings breiter und umfassender untersucht werden, wie demokratische Regierungsführung mit offenen und unsicheren Zukünften umgehen kann, um Raum für vielfältigere Zukunftsdarstellungen in der globalen Umweltpolitik zu schaffen“, erläutert Knappe. Die Inklusion von radikaleren und transformativen Zukünften in Verhandlungsräume der UN sei mühsam, berge aber die Chance auf globale Politikziele, mit denen sich weit mehr Menschen identifizieren können.

Knappe, H., Schmidt, O., Making Representations: The SDG Process and Major Groups’ Images of the Future,Global Environmental Politics 1–21. https://doi.org/10.1162/glep_a_00599

Kontakt

Bianca Schröder

Dr. Bianca Schröder

Referentin Presse und Kommunikation
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