Forschungsinstitut für
Nachhaltigkeit | am GFZ

Veränderung besser verstehen: Ein neuer Forschungsansatz

25.04.2025

Die Beschleunigung der Energiewende ist eine der drängendsten Herausforderungen unserer Zeit. Da dies komplex ist und unterschiedliche Denktraditionen herrschen, gelingt es der Forschung kaum, solche Veränderungsprozesse abzubilden. Wissenschaftler Jörg Radtke vom Forschungsinstitut für Nachhaltigkeit (RIFS) beschreibt nun einen neuen Weg, um dieser Vielschichtigkeit gerecht zu werden: Er führt Erkenntnisse aus der neueren Transitionsforschung mit denen aus der klassischen Politikforschung zusammen. „Mit diesem neuen Framework entsteht ein umfassender Rahmen, mit dem die Energiewende besser verstanden und analysiert werden kann“, sagt Radtke.

Der Ausbau der Windkraft und des Stromnetzes zählt zu den spannungsreichen Großbaustellen der Energiewende.
Der Ausbau der Windkraft und des Stromnetzes zählt zu den spannungsreichen Großbaustellen der Energiewende.

Anhand des konkreten Beispiels der deutschen Energiewende spielt Radtke in seiner neuen Publikation die Verschmelzung von zwei Forschungsperspektiven durch: Einmal die Perspektive auf gesellschaftliche Transformationsprozesse des Niederländers Frank Geels, die seit Veröffentlichung im Jahr 2007 von Forscherinnen und Forschern weltweit übernommen wurden. Und andererseits die der klassischen Politikwissenschaft. Radtkes Ausgangsfrage war: „In der Politikwissenschaft wird die Bearbeitung von Politikfeldern in ähnlicher Weise wie in einem Prozessmodell abgebildet. Was wäre nun, wenn man beide Perspektiven zusammendenken würde?“ 

Die Energiewende besser erklären

Beide Perspektiven betonen, wie wichtig Beteiligungsformate in Zeiten von Veränderung und Umwälzung sind: Sowohl im politischen Prozess als auch bei soziotechnischen Regime-Umbrüchen wirken Akteure, Institutionen und die Öffentlichkeit zusammen. Sie alle beeinflussen den Fortlauf der Veränderung. „In der Transitionsforschung kommt dabei den Nischen-Akteuren eine entscheidende Rolle zu, da sie in Zeiten des Umbruchs profitieren und Gelegenheiten nutzen („window of opportunity“). Die Politikwissenschaften wiederum erklären, wie sich Akteure im Prozess verhalten, indem sie etwa Interessenkoalitionen schließen“, erläutert Radtke. Mit beiden Perspektiven im Blick könne der mehrdimensionale Veränderungsprozess folglich besser erklärt werden. 

Wie funktioniert Beteiligung in der Energiewende?

Die wesentlichen Merkmale der Beteiligung unterscheiden sich jedoch fundamental je nach Forschungszweig: Während in der Transitionsforschung die Beteiligung vor allem als Bottom-up-Modus verstanden wird, da kleine Akteure aus der Nische herauswachsen, betrachten die klassischen Politikwissenschaften sie meist als einen Prozess in geregelten Verfahren, sowohl in der Öffentlichkeit als auch innerhalb von Institutionen. „Beides ist richtig“, sagt Wissenschaftler Radtke, „Beteiligung läuft in verschiedenen Dimensionen auf unterschiedlichen Ebenen ab. Auch das berücksichtigen beide Forschungsansätze im Rahmen der Multilevel-Perspektive, aber jeweils getrennt in ihren eigenen Silos. Jedoch ein derart umfassender Wandel wie die Energiewende müsse sowohl-als-auch gedacht und betrachtet werden.“

Zwei integrative Governance-Formen der Energiewende

Im Forschungspapier stellt Autor Radtke zwei Beispiele näher vor: Zum einen die partizipative Governance, innerhalb derer die Beteiligung der Öffentlichkeit an politischen Entscheidungen, die Selbstverwaltung durch freiwillige Vereinigungen, die deliberative Partizipation und die materielle Teilhabe abgebildet werden. „Die partizipative Governance stellt sicher, dass Interessensgruppen eine sinnvolle Rolle im Entscheidungsprozess haben“, argumentiert Radtke. „Dazu gehören Plattformen für die Beteiligung der Öffentlichkeit, ein hohes Maß an Transparenz und keinerlei Machtungleichgewichte, weil dies eine gleichberechtigte Beteiligung einschränkt.“ 

Zum anderen die reflexive Governance, die per Feedback-Modus insbesondere beim Umgang mit Ungewissheiten und Komplexität wie bei der Energiewende angewandt wird, dabei werden laufend Anpassungen vorgenommen, die auf Rückmeldungen basieren. 

Das Beispiel der deutschen Energiewende

„In beiden Governance-Typen ist Beteiligung top-down und bottom-up auf unterschiedlichen Ebenen zu beobachten: Neue Akteure betreten die Bühne, Institutionen öffnen sich und involvieren andere Akteure und die Öffentlichkeit“, veranschaulicht Radtke unter Hinweis auf die deutsche Energiewende: „In Deutschland kam es zur Jahrtausendwende zu einer schier unglaublichen Explosion: Wo in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts vier große Energieunternehmen den Energiemarkt bestimmten, entstanden plötzlich hunderte neue Player – von neu gegründeten Energiegenossenschaften und Stadtwerken über neue Stromanbieter und Hersteller von Technik bis zu Bürgerinitiativen. Die Landschaft hat sich komplett gewandelt – ein totaler Regime-Change“.

Sowohl mit den Erkenntnissen aus der Transitionsforschung als auch mit den eher klassischen Ansätzen der Politikwissenschaft lassen sich derart umfassende Veränderungen erklärbar nachvollziehen, so das Fazit von Radtkes Publikation „Understanding the Complexity of Governing Energy Transitions: Introducing an Integrated Approach of Policy and Transition Perspectives“. Da die Nachhaltigkeitstransformation weiter andauere, werden weitere Studien mit Ansätzen zur Erklärung des Wandels herauskommen.

Publikation:

Jörg Radtke: Understanding the Complexity of Governing Energy Transitions: Introducing an Integrated Approach of Policy and Transition Perspectives, Environmental policy and governance. doi:10.1002/eet.2158.
 

Kontakt

Jörg Radtke

Dr. Jörg Radtke

Projektleiter
joerg [dot] radtke [at] rifs-potsdam [dot] de
Sabine Letz

M. A. Sabine Letz

Referentin Presse
sabine [dot] letz [at] rifs-potsdam [dot] de
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